Reto Grond und Alexander Zimmermann bearbeiten Eisskulptur auf einem zugefrorenen See

Eiskalter Selbstversuch:
Eisskulpturen schnitzen mit Reto Grond

Der Schweizer Bildhauer und Eisschnitzer erschafft aus blanken Eisblöcken faszinierende Eisskulpturen. Autor Alexander Zimmermann besuchte ihn in seinem Atelier in St. Moritz – und wurde selbst zum Eiskünstler.

Coole Sache: Mit einer Maus zum Erfolg

Die eiskalte Geschichte von Reto Grond begann vor 30 Jahren mit einer drei Meter hohen Maus. Der Europa-Park Rust hatte den Schweizer gefragt, ob er das Maskottchen in Übergröße in den Feegletscher oberhalb von Saas-Fee schnitzen könne – als Marketing-Gag zur Einweihung der neuesten Attraktion des Vergnügungsparks, der Schweizer Bobbahn.

Reto sagte Ja – obwohl der Bildhauer bis dahin noch nie mit Eis gearbeitet hatte. „Aber ich dachte, ich versuch’s einfach mal“, erzählt er in seiner Werkstatt im schweizerischen St. Moritz. Heute ist Reto ein bekannter Eisschnitzer und erschafft seit den 1990er-Jahren für Hotels, Bars und Privatleute beeindruckende Eisskulpturen. Unter seiner Anleitung werde ich heute mein erstes Werk aus Eis kreieren.

Eisskulptur: Eine Bergsilhouette als Motiv

Auf dem Arbeitstisch liegt ein gut 60 Kilogramm schwerer Quader aus gefrorenem Wasser. Es ist die „kleine Variante“, wie Reto erklärt, also die Hälfte eines 125-Liter-Blocks, den er normalerweise verwendet. Das Eis ist kristallklar, hat keinerlei Luftblasen oder sonstige Einschlüsse. „Hast du dir schon ein Motiv überlegt?“, fragt der 50-Jährige. Ja, eine Bergsilhouette soll es sein.

Reto reicht mir ein Werkzeug mit vier geraden Stahlzinken. Damit kratze ich eine Skizze in das Eis. Ich versuche, in zwei Ebenen zu arbeiten – eine kleinere Bergkette im Vordergrund und eine höhere im hinteren Teil des Eisblocks. Dann kommt die Akku-Kettensäge zum Einsatz. Damit entferne ich die Teile des Eisblocks, die ich nicht benötige.

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Eisschnitzen: Details mit dem Stechbeitel

Anschließend geht es an die Feinheiten und damit um echte Handwerkskunst. „Locker in der Hand halten, nicht zu steiler Winkel und dann Schicht für Schicht das Eis abtragen“, sagt Reto und zeigt auf unterschiedlich breite und lange Stechbeitel sowie ein japanisches Messer mit einem langen Holzgriff. Er demonstriert die richtige Bewegung. Flüssig und geschmeidig sieht das aus, Eisspäne wirbeln durch die Luft.

Ich versuche, seine Bewegungen nachzuahmen. Und siehe da: Es funktioniert. Schon bald lässt sich die Bergsilhouette erahnen. „Einer der Vorteile an der Arbeit mit Eis ist, dass es wesentlich schneller vorangeht als bei anderen Materialien“, sagt Reto. Ein weiterer Pluspunkt: Eis lässt sich beliebig ergänzen. „Bei Holz hast du immer nur einen Stamm mit einem begrenzten Maß und trägst davon ab. Beim Eis kann ich so viele Blöcke aneinandersetzen, wie ich will.“

Mann schaut auf Handy und kratzt einen Schriftzug in eine Eisskulptur Mann schaut auf Handy und kratzt einen Schriftzug in eine Eisskulptur

Das passt: Feinschliff mit Bohraufsatz

Seine Klareisblöcke stellt Reto selbst her. Die Kühlaggregate seiner Spezialanlagen aus Amerika sitzen im Boden und lassen das Wasser von unten gefrieren. Der Rest des Wassers bleibt dank Pumpen in Bewegung. So werden auch kleinste Luftbläschen an die Oberfläche befördert, und das Eis ist später kristallklar. Auf diese Weise gefrieren zwölf Zentimeter in den ersten 24 Stunden.

Zurück zu meiner Eisskulptur: Mittlerweile habe ich sowohl die vordere als auch die hintere Bergkette mit den Stechbeiteln und dem japanischen Messer aus dem Klareis herausgearbeitet. Zeit für den Feinschliff. Reto gibt mir einen Akkubohrer mit unterschiedlichen Aufsätzen. Vorsichtig fräse ich Ebenen und kleine Abhänge. Am Ende graviert der Meister noch das Logo des „passt!“-Magazins ins Eis.

Mann in roter Jacker präsentiert Eisskulptur in Form von Berggipfeln auf einem zugefrorenen See Mann in roter Jacker präsentiert Eisskulptur in Form von Berggipfeln auf einem zugefrorenen See

Kunst aus Eis: Schöne Vergänglichkeit

Doch wie ist es für einen Künstler, seine Kunstwerke schmelzen zu sehen? Jeder Sonnenstrahl weicht vormals scharfe Konturen einfach auf, lässt sie anschließend ganz verschwinden. „Ich finde das schön, denn damit ist die Kunst ebenso vergänglich wie wir alle.“ Reto Grond geht es nicht nur um das Ergebnis, sondern auch um den Weg dorthin. Um jeden Handgriff, um jeden Gedanken, um jeden Schritt in diesem Prozess.

Meine Eisskulptur ist fast fertig. Für den finalen Schliff fahren wir zum zugefrorenen Silsersee südwestlich von St. Moritz. Vor der traumhaften Alpenkulisse nehme ich die letzten Millimeter Eis mit dem kleinen Stechbeitel weg und bestaune mein Werk. Heute Morgen noch hatte ich nicht gedacht, dass ich sowas herstellen könnte. Manchmal überrascht man sich selbst – vor allem, wenn man einen Lehrmeister wie Reto hat.