Mann mit Vollbart – Kunstwerk aus recyceltem Kunststoff-Müll

Kunst aus Müll: XXL-Porträts aus Schrott

Die türkische Künstlerin Deniz Sağdıç wühlt berufsbedingt gerne im Müll – aus Stoffresten, Knöpfen, Plastiktüten und Elektroschrott zaubert sie beeindruckende Werke im Großformat.

Porträt von Künstlerin Deniz Sagdic Porträt von Künstlerin Deniz Sagdic

Effektvolle Porträtkunst

Wer von Weitem eines der Porträts von Deniz Sağdıç anschaut, denkt an ein Ölgemälde aus kräftigen Farben mit energischem Strich. Steht man dann direkt vor dem Werk, ist die Überraschung groß. Tatsächlich sind die riesigen Porträts der türkischen Künstlerin aus vielen kleinen Teilen zusammengesetzt: Draht, Eintrittskarten, Stoffreste, Plastiktüten, Elektroschrott, Reißverschlüsse oder Knöpfe – akribisch zu einem Personen-Mosaik aneinandergereiht.

Diese Upcycling-Werke stehen gerade im Mittelpunkt von Sağdıçs Schaffensphase. Auf Facebook und Instagram sind viele schicke Beispiele der 41-jährigen Türkin zu finden. Bis sie zu dieser besonderen Porträtkunst gelangte, durchlief ihre Kunst verschiedene Stadien. Aufgewachsen zwischen Glasern und Schneidern hatte Sağdıç bereits als Kind zahlreiche Berührungspunkte mit kreativem Schaffen. Unter anderem bemalte sie Glas in der Glaserei ihres Vaters und nähte Taschen aus Stoffresten ihrer Tanten.

Ebru-Kunstwerk Ebru-Kunstwerk

Eigenes Atelier in Istanbul

Schon früh reifte in ihr der Wunsch, in einem kreativen Beruf zu arbeiten. Und so studierte Sağdıç nach der Schule zunächst Malerei in ihrer Heimatstadt Mersin, einer Hafenstadt an der türkischen Mittelmeerküste. 2003 machte sie ihren Abschluss mit Auszeichnung. Nach dem Studium zog Sağdıç nach Istanbul, wo sie ein eigenes Atelier eröffnete. Dort arbeitete sie mit unterschiedlichen Materialien, schuf Ölgemälde, aber auch bildhauerische Arbeiten, Drucke, Gravuren und sogar Videokunst.

Bekannt wurde sie in dieser Phase ihres Schaffens vor allem durch ihre plastischen, fließenden Formen, die an die traditionelle Ebru-Kunst erinnern. Die Ebru-Kunst ist eine in der Türkei weit verbreitete Technik und lässt sich am besten mit „Wolken-Kunst" übersetzen. Wie beim Marmorieren wird dabei mit Farben und Wasser experimentiert, so dass erstaunliche visuelle Effekte entstehen. Einige Jahre später dann die nächste Entwicklungsstufe: Sağdıç erhielt ein Stipendium an der Doğuş-Universität in Istanbul und schloss ihr Studium 2015 mit einem Master in Bildender Kunst ab.

Der Weg zur Upcycling-Kunst

Ihre Experimente mit klassischen Methoden in Mersin und in ihrer frühen Istanbuler Zeit erklärt Sağdıç als Findungsphase: „Ich war auf der Suche nach mir selbst, habe zu verstehen versucht, wer ich bin. Ich änderte meinen Stil alle paar Jahre, begann mit Öl, wechselte zum Marmorieren und damit vom Konkreten zum Abstrakten.“

Jedes neue Material sei wieder eine neue Herausforderung gewesen, sagt sie. Und da Sağdıç ständig auf der Suche nach neuen Methoden war, außergewöhnliche Kunst zu erschaffen, war der Weg zum Upcycling nicht weit. „Ich realisierte, dass eine andere Lösung notwendig war, um die Kunst zu einem größeren Publikum zu bringen“, erzählt sie der türkischen Webseite Dunyabizim.

Nachhaltigkeitsprojekt „Ready-ReMade“

Mit diesem Ziel startete sie 2016 ihr Projekt „Ready-ReMade“, in dem sie klassische und moderne Techniken miteinander verbindet und ausrangierten Dingen ein neues Leben schenkt. So entstand aus alten Münzen eine Lampe. Sie fertigte Porträtkunst auf alten Spiegeln oder Fernsehern. Und aus Büchern schnitzte sie eine Skulptur. Ihr Ziel: das Thema Nachhaltigkeit für ein breites Publikum präsentieren und zum Nachahmen animieren.

Ihr „Ready-ReMade“-Projekt setzt Sağdıç bis heute fort. Inzwischen konzentriert sie sich überwiegend auf Porträts – und bannt bekannte und weniger bekannte Menschen auf Leinwände. Dafür kombiniert sie seltener Reststoffe und Malerei, sondern setzt ihre Porträts – wie Mosaike – ausschließlich aus einheitlichen Upcycling-Materialien zusammen. So entstehen aus farblich sauber sortierten Reißverschlüssen, Eintrittskarten, Knöpfen, Tabletten, Kabelummantelungen, Flaschenverschlüssen sowie Stoff- oder Lederresten ihre einzigartigen Kunstwerke, die aus der Ferne wirken, als seien sie in Öl gemalt.

Frau zerschneidet Jeans mit Schere für Upcycling-Projekt Frau zerschneidet Jeans mit Schere für Upcycling-Projekt

Denim-Kunst als „Fast Fashion“-Kritik

Besonders intensiv setzt sich die Künstlerin mit dem Material Denim auseinander. Viele ihrer Porträts bestehen aus Jeansstoffen. Unter anderem hat sie so James Dean, Mick Jagger und Sophia Loren auf Leinwand verewigt. Für Sağdıç stehen Jeansstoffe, die in der Herstellung viel Wasser benötigen und viele Schadstoffe hinterlassen, stellvertretend für die Wegwerfkultur in der Bekleidungsindustrie und die negativen Auswirkungen der „Fast Fashion“-Kultur auf die Umwelt. Mit ihrer Kunst möchte sie dafür ein Bewusstsein schaffen – gerade, weil viele Bekleidungsbetriebe in ihrer türkischen Heimat angesiedelt sind.

Damit ihre Botschaften möglichst viele Menschen erreichen, legt die Künstlerin Wert darauf, dass ihre Werke nicht nur in Galerien und Museen ausgestellt werden. Am liebsten präsentiert sie sie an öffentlichen Orten wie Einkaufszentren, Flughäfen und Messen. Ganz unvoreingenommen können sich Passanten hier Sağdıçs Kunst nähern – und fasziniert die ungewöhnlichen Upcycling-Mosaike ganz aus der Nähe betrachten.