Street-Art XXL in Mannheim:
Hier werden Hausfassaden zu Kunstwerken
In Mannheim leuchten großformatigen Wandbilder, Murals genannt, an zahlreichen Hausfassaden. Engagierte Kreative haben die Stadt zu Deutschlands Street-Art-Metropole gemacht – und gewinnen regelmäßig internationale Stars wie Satr. Wir trafen die chinesische Graffiti-Künstlerin bei ihrer Arbeit.
Wenn man auf einer Wand arbeitet, sind die Möglichkeiten riesig. Man hat deutlich mehr Freiheiten.
XXL-Graffiti an Hausfassaden
Ein Wohnblock in Mannheim-Waldhof. Vor dem Gebäude parkt ein Hubsteiger, rot-weißes Flatterband rundherum, ein paar Kinder kommen vorbei – und schnell ins Staunen. Auf der Hebebühne steht Satr, Street-Art-Künstlerin aus dem südchinesischen Guangzhou. Sie dirigiert die Plattform in die richtige Position. Dann nimmt sie eine Dose schwarze Sprayfarbe in die Hand. Mit Abstand zur Wand und kreisenden Bewegungen verteilt die zierliche Frau die Farbe.
Das ist ihr Stil: Satr lässt die Farbe vorsichtig zerstäuben. So entstehen Bilder mit viel Transparenz, ganz ohne kräftige Konturen. Zart, zerfließend, filigran erscheinen die riesigen Figuren, die sie erschafft. Meist sind es stolze, wilde, majestätische Tiere. So ist es auch diesmal: Das XXL-Kunstwerk, das Satr auf der Seitenwand des viergeschossigen Wohnblocks hinterlässt, zeigt die sich aneinanderschmiegenden Köpfe eines Panthers und eines Leoparden.
Außergewöhnliches Street-Art-Projekt
Dass die junge Künstlerin in Mannheim eines ihrer Wandbilder entstehen lassen kann, liegt an einem außergewöhnlichen Projekt: STADT.WAND.KUNST. 2013 hat es begonnen. Das in der Street-Art-Szene bekannte Duo Herakut war damals auf der Suche nach einer Hausfassade, auf der es eines seiner Kunstwerke realisieren wollte.
Sie wurden in Mannheim fündig. Dort hatten zwei Männer, deren Herz schon lange für Street-Art schlug, eine Wand organisiert: Sören Gerhold, Geschäftsführer des Mannheimer Veranstaltungshauses Alte Feuerwache, und Alexander Krziwanie, kreativer Kopf des Heidelberger Sprühdosen-Herstellers Montana-Cans.
Eine Eintagsfliege sollte das Street-Art-Werk nicht bleiben. Krziwanie und Gerhold organisierten weitere Wandflächen und luden andere Künstler ein, sich in Mannheim kreativ auszutoben. So entstand STADT.WAND.KUNST und wurde schnell zur Institution. Satrs Wandbild „Whisper“ im Stadtteil Waldhof ist bereits das 41. Kunstwerk, das seit 2013 für das Projekt angefertigt wird.
Dutzende Kunstwerke in der Stadt
Nicht alle Wandbilder sind noch erhalten. Einige sind verschwunden, weil die Häuser, auf denen sie prangten, mittlerweile abgerissen wurden. 35 Kunstwerke inklusive der Tierköpfe von Satr lassen sich aber besuchen (Stand: August 2022). Das Spektrum reicht von schreiend bunten Werken wie dem „Modern Thinker“ des Moskauer Künstlers Aske bis zu „Stairway to Heaven“, einer optischen Sinnestäuschung des Leipzigers Bond Truluv (siehe auch Galerie).
„Wir verwandeln die Stadt in ein Freiluftmuseum für Street-Art“, erklärt Sebastian Bader, Projektleiter von STADT.WAND.KUNST. Dass die Werke jederzeit frei zugänglich sind, dass es keine Barrieren gibt, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, ist ihm wichtig. Und auch, dass die Stadtbewohner dabei sind, wenn die Kunstwerke das Licht der Welt erblicken. Damit der Schaffensprozess von jedem verfolgt werden kann.
Murals: Ursprung in Mexiko
Murals werden die großformatigen Wandbilder genannt. Ihre Ursprünge haben sie im Mexiko der 1920er-Jahre. Wandmalereien gibt es natürlich schon viel länger, doch in Mexiko eroberten sie unter dem Begriff Muralismo den Stadtraum: Politische Botschaften, leicht verständlich und von bekannten Künstlern umgesetzt, sollten damals die Bevölkerung aufklären. Heute sind Murals ein globales Phänomen und eine etablierte Kunstform.
Die Mannheimer Murals lassen sich leicht auf eigene Faust erkunden. In der Innenstadt, die im quadratischen Muster gebaut wurde und deren Straßen schlicht mit Buchstaben und Zahlen benannt sind, kommt man schnell von einem Werk zum nächsten. Und auch in der Neckarstadt-West finden sich viele Wandbilder nah beieinander. Führungen bietet das Mannheimer Stadtmarketing an.
Sprayen mit spanischem Pop im Ohr
Zurück zu Satr. Wenn die Künstlerin eines ihrer Murals sprayt, hört sie über Kopfhörer gern Musik, meist spanischen Pop. „Das hilft mir, mich zu fokussieren“, sagt die 27-Jährige. Von ihren Werken fertigt sie zunächst eine Zeichnung an, dann wählt sie die Farben aus und beginnt zu sprayen.
Satr arbeitet ausschließlich mit Sprühfarben. Ihre Werke wandeln sich oft noch im Lauf des Prozesses. Manche Street-Art-Künstler behelfen sich bei ihren Fassadenbildern mit Projektionen, die sie bei Nachtlicht auf die Wände werfen, oder teilen die Fläche zu Beginn nach einem Raster auf.
Satr braucht solche Hilfsmittel nicht. Ihre ersten Graffiti hat die chinesische Künstlerin 2013 umgesetzt. Dass sie zu STADT.WAND.KUNST eingeladen wurde, bedeutet ihr viel. „Hier haben schon so viele bekannte Künstler gearbeitet. Dass ich nun auch dazu zähle, ist eine große Ehre.“