Beeindruckende Luftbildfotografie:
Tom Hegen zeigt uns die Welt von oben
Der Münchner Fotograf Tom Hegen hält weltweit aus der Luft fest, was Menschen erschaffen beziehungsweise verursacht haben: Salzseen, Tulpenfelder, Solaranlagen, Flughäfen, Bergwerke. Seine Luftbildaufnahmen entstehen in einer Höhe von 300 bis 1000 Metern und sind einzigartige Porträts unserer Zivilisation, die einen faszinieren und gleichzeitig nachdenklich stimmen. Wir haben mit ihm über die Herausforderungen seiner Arbeit und die ambivalente Ästhetik der Erdoberfläche aus der Vogelperspektive gesprochen.
Sobald ich in der Luft bin, habe ich nur wenige Momente, in denen alles zusammenpassen muss.
Welches Land ist für Dich aus der Vogelperspektive am beeindruckendsten?
Ich kann die Antwort nicht auf ein Land reduzieren. Aus der Luft betrachtet gibt es auf unserer Erde kaum politische Grenzen. Zudem sieht aus der Vogelperspektive alles unfassbar interessant aus. Man bekommt einen ganz anderen Blick, auch auf die gewöhnlichen Dinge.
In wie vielen Ländern warst Du schon?
Ich habe bisher noch nicht gezählt, in wie vielen Ländern ich gewesen bin. In den letzten Jahren sind aber einige zusammengekommen. Besonders interessant finde ich die Orte, die weit abgelegen, wenig touristisch und dadurch besonders authentisch sind. Hierzu gehören sicherlich Indien, Senegal, Namibia und Chile, die ich im vergangenen Jahr bereist habe.
Die Welt von oben fotografieren: Wann hat sich Deine Leidenschaft für Fotografie und Natur entwickelt?
Es waren wohl mehrere Faktoren, die zu dem geführt haben, was ich heute mache. Dazu gehört sicherlich auch mein erster Flug nach Neuseeland – dort habe ich 2010 meinen Zivildienst absolviert. Ich hatte vorher noch nie ein Flugzeug betreten, hatte einen Fensterplatz und klebte die meiste Zeit an der Scheibe, um die am Boden vorbeiziehenden Muster von Städten, Gebirgen und Wolken zu bestaunen.
Während meiner Zeit in Neuseeland habe ich dann meine Leidenschaft für die Natur und das Fotografieren entdeckt. Ein Schlüsselmoment war bestimmt auch ein Ausstellungsbesuch mit Satellitenaufnahmen, die in großen Dimensionen die Eingriffe des Menschen auf die Umwelt gezeigt haben. Ab diesem Moment wusste ich, dass ich mit Luftbildfotografie ein Medium habe, mit dem ich spannende Geschichten über unsere Erde erzählen kann.
Wie hast Du Dich bei Deinem ersten Flug mit Luftbildfotografie gefühlt?
Mein erster„Fotoflug“ war eine Ballonfahrt. Die Stille und die Perspektive waren atemberaubend. Allerdings hatte ich mir mehr Kontrolle über die Flugrichtung erhofft, da ich relativ unpräzise an den Motiven vorbeigeschwebt bin.
Was genau möchtest Du mit Deiner Arbeit erreichen? Was ist Deine Mission?
In meinen Arbeiten beschäftige ich mich mit dem Einfluss des Menschen auf die Natur. Ich dokumentiere Spuren, die wir auf der Erdoberfläche hinterlassen. Meine Arbeiten basieren auf der Idee des Anthropozäns. Es ist ein Begriff, der momentan als Name für ein neues Erdzeitalter – das vom Menschen gemachte Erdzeitalter – bei Wissenschaftlern im Gespräch ist.
Der Begriff Anthropozän soll den Zeitabschnitt betiteln, in dem der Mensch zum wichtigsten Einflussfaktor auf die geologischen, biologischen und atmosphärischen Prozesse der Erde geworden ist. Mich interessiert insbesondere der Blick hinter die Kulissen, wie unsere Gesellschaft funktioniert, wo die Ressourcen unseres täglichen Lebens abgebaut werden, und was es kostet, unseren hohen Lebensstandard zu halten.
Was ist die größte Herausforderung dabei?
Der größte Aufwand liegt in der Vorbereitung. Ich plane meine Projekte teilweise über ein Jahr im Voraus. An extrem entlegenen Orten brauche ich Piloten, die meinen Anweisungen in der Luft folgen wollen. Ich fliege ja immer mit unterschiedlichen Piloten und suche mir meist in der Nähe meiner Motive einen geeigneten. Manchmal muss ich sie auch aus anderen Gegenden einfliegen lassen.
Außerdem benötige ich Genehmigungen, die richtige Jahreszeit, das richtige Wetter und Licht. Die Vor- und Nachbereitungen nehmen rund 95 Prozent meiner Zeit in Anspruch. Und dazu habe ich noch meine Buchprojekte: Aktuell produziere ich mein drittes Buch “Salt Works”, das im November erscheinen wird.
Brauchst Du besonderes Equipment, um solche Fotos zu machen?
Ich arbeite mit Mittelformatkameras, die eine sehr hohe Auflösung haben, damit alle Details auf dem Boden erkennbar bleiben. Als Flugplattform verwende ich Helikopter, kleine Flugzeuge und auch Drohnen, an die ich meine Kamera montiere. Für mich steht aber nie das Werkzeug im Vordergrund, sondern immer das Ergebnis.
Was sieht man beim Fotografieren aus der Luft besser als beim normalen Fotografieren am Boden?
Ein erhöhter Kamerastandpunkt schafft Übersicht, zeigt die Landschaft im Kontext und macht Dimensionen deutlich. Für mich ist das Flugbild beziehungsweise die freie Wahl des Kamerastandpunktes die einzige Art, wirklich objektiv zu sehen.
Was war Dein bisher spannendstes Projekt?
Im letzten Jahr bin ich mit einem Helikopterpiloten drei Wochen durch den Westen der USA geflogen. Das war eine unfassbare intensive Zeit, in der ich an vielen Themen parallel arbeiten konnte. Den größten Aha-Moment hatte ich aber 2018, als ich in Grönland eine Serie zum Effekt des Klimawandels auf den arktischen Eisschild aufgenommen habe. Es war erschreckend zu sehen, in welchen Dimensionen wir Einfluss auf unsere Umwelt haben.
Vom Menschen veränderte, geprägte oder zerstörte Landschaften sehen von oben ja oft beeindruckend aus. Was siehst Du eher: das Schlimme oder das Schöne?
Für mich ist die Ästhetik ein Stilmittel, um dem Betrachter Orte näherzubringen, mit denen sie sich ansonsten wohl eher nicht beschäftigt hätten. Wir alle konsumieren Ressourcen, wollen aber oft nicht wissen, wo sie genau herkommen oder mit welchen Folgen sie gewonnen werden. Meine Motive sind Zucker für das Auge, offenbaren beim genauen Betrachten aber auch eine zweite Ebene, die eine Geschichte über den Ort erzählt.
Was ist Dein größter Wunsch an den Menschen, der in die Natur eingreift?
Ich wünsche mir eine Einsicht und ein Verständnis darüber, dass wir nur diesen einen Planeten haben. Dass er einzigartig ist und geschützt werden muss! Schon allein aus unserem eigenen Interesse, um unsere Lebensgrundlage nicht zu zerstören.
In Bezug auf Deine Arbeit: Was macht Dich traurig, was wütend und was glücklich?
Ein verschwenderischer Umgang mit Ressourcen macht mich traurig, ein respektloser Umgang mit unserer Umwelt wütend und ein richtig gutes Foto, bei dem Form und Inhalt perfekt zusammen passen, glücklich.