
Wundermaterial Pilzmyzel:
Wie sich Häuser aus Pilzen bauen lassen
Mit Pilzbausteinen, sogenannte Bio-Bricks, die aus Pilzfäden und Pflanzenresten bestehen, kann man Gebäude errichten – so stabil wie aus Beton. Auch die Verpackungs- und Modeindustrie profitiert von dem kompostierbaren Werkstoff.


Ein 13 Meter hoher Turm aus Pilzmyzel
Gerade mal 13 Meter war der „Hy-Fi-Turm“ hoch, aber er sorgte für großes Aufsehen. Das Gebäude, das vor einigen Jahren im Innenhof des Museum of Modern Art (MoMA) PS1 in New York stand, war aus Pilzen gebaut. Der amerikanische Architekt David Benjamin hatte Myzelien, wie die Wurzeln eines Pilzes heißen, mit Getreidehalmen zu Mauerziegeln wachsen lassen und daraus den Turm errichtet. Nach drei Monaten wurde er wieder abgebaut – und vermoderte danach rückstandslos.
Für „Fungi-Tekt“ Benjamin war schon damals klar: Dem Bauen mit Pilzen gehört die Zukunft. Denn mithilfe des Pilzmyzels können dreidimensionale Verbundstoffe erzeugt werden, sogenannte Bio-Bricks. Damit lassen sich Möbel anfertigen, Dämmmaterialien herstellen und Gebäude erschaffen, die genauso stabil sind, als wären sie aus Beton. Das große Plus dabei: Die Baustoffe aus Pilzen sind kompostierbar.


Pilzbausteine entstehen in wenigen Wochen
Für die Herstellung der Pilzbausteine verwendet man das Wurzelwerk von gewöhnlichen Baumpilzen aus dem Wald wie dem Zunderschwamm oder dem Glänzenden Lackporling. Notwendig sind zudem organische Abfälle aus der Landwirtschafts- und Holzindustrie wie Stroh, Hanffasern, Maisstängel und Sägemehl. Sie fungieren als Substrat, werden mit den Myzelien und einer Nährlösung vermischt und in spezielle Behältnisse wie hohle Ziegelsteine gefüllt.
Das natürliche Baumaterial wächst dann unter besonderen klimatischen Bedingungen von allein zusammen, indem die feinen Wurzelfäden sämtliche Zwischenräume durchziehen und eine feste Struktur bilden. Das Resultat muss dann nur noch im Ofen getrocknet werden und aushärten. Innerhalb von maximal vier Wochen ist der Pilzbaustein fertig.


Pilze sind Meister im Zusammensetzen
An der Technischen Universität Berlin erkundet Professorin Vera Meyer das Stoffwechselpotenzial von Pilzen. Ihr Motto: „Mind the Fungi – beachtet Pilze!“. Im Sommer 2021 hatte sie mit einem Team den „My-Co Space“ entwickelt, eine bewohnbare Skulptur aus Holz, Stroh und Pilzen, die an eine Raumfahrtkapsel erinnert und zu Ausstellungszwecken für drei Monate im Metzlerpark in Frankfurt am Main stand.
Die Biotechnologin beeindrucken Pilze schon lange: „Sie sind zwar Mikroorganismen, aber manche Arten gehören zu den größten Lebewesen auf der Welt.“ Pilze, deren Fädengeflecht sich unter der Erde über immense Flächen ausbreiten kann, seien eine Art Müllabfuhr in der Natur, Meister der Zersetzung von Biomasse, aber auch Meister der Synthese. Sie könnten pflanzliche Rohstoffe durch aktive Enzyme in ihre Bestandteile zerlegen, diese aber ebenfalls für vielfältigste Produkte neu zusammensetzen.
Kleidung und Verpackung aus Pilzwurzeln
Die niederländische Designerin Aniela Hoitink entwirft mit ihrer Firma „Neffa“ nachhaltige Mode aus Pilzen. Ihr Antrieb: die Art, wie wir Kleidung nutzen, zu verändern – und dafür zu sorgen, dass weniger Textilabfälle entstehen. Hoitinks revolutionäres Pilzgewebe trägt den Namen „MycoTEX“ und ist nach eigenen Angaben „die einzige 3-D-Fertigungsmethode, die nahtlose und maßgeschneiderte Produkte aus Pilzwurzeln ermöglicht“. Wenn die Myzel-Textilien ausgedient haben, lassen sie sich ganz einfach kompostieren.
Gebäude und Kleidung sind allerdings längst nicht alles, was sich aus Pilzgeflechten erzeugen lässt. Das US-amerikanische Unternehmen „Ecovative“ etwa hat sich auf umweltfreundliche Verpackungen, gepresst aus Getreidehalmen und Pilzwurzeln, spezialisiert.
Am Fraunhofer-Institut UMSICHT wird unter dem Namen „FungiFacturing“ daran geforscht, wie die Akustik in Räumen verbessert werden kann, ohne auf konventionelle Materialien wie Polyesterschäume zurückzugreifen. Die Schallabsorber, die man hier entwickelt, basieren auf Pilzmyzel.