Baustoff-Recycling: Zweite Chance für
gebrauchte Baumaterialien
Martin Blöcher ist Baustoff-Retter. Seine Alte Ziegelei bei Lemgo ist eine riesige Fundgrube für alte Materialien. Hier lagern Backsteine, Holzbohlen, Dachziegel und Natursteinplatten, damit sie andernorts wiederverwendet werden können.
Viele wollen alte Häuser loswerden. Wir möchten unsere Kunden überzeugen, so viel wie möglich im Bestand zu retten.
Sammelsurium mit System
Auf den ersten Blick ist die Alte Ziegelei ein unübersichtliches Sammelsurium. Unzählige Materialstapel säumen die schmalen Wege: liegende oder lehnende Holzbohlen, Bruchsteine und Natursteinplatten in allen Größen. Daneben Metallkörbe voller Ziegel und Paletten, auf denen sich Dachpfannen türmen. Einiges lagert in, anderes neben Remisen, auch sie aus alten Werkstoffen gebaut.
Doch auf dem mehrere tausend Quadratmeter großen Gelände im ostwestfälischen Entrup bei Lemgo herrscht System. Wie es funktioniert, was wo lagert, entschlüsselt eine Karte. Sie soll demnächst digitalisiert und für alle zugänglich auf der Homepage integriert werden. „Das macht die Orientierung dann viel leichter“, sagt Martin Blöcher, der Betreiber dieses wohl außergewöhnlichsten Baustoffhandels in Deutschland.
Großaufträge von der Gastronomie
Gerade interessiert sich ein Besucher für antike Eiche. Aus mindestens sieben Meter langen Brettern soll eine Bank entstehen. Würde der Kunde das Sitzmöbel nicht selbst zimmern wollen, könnte er auch Blöcher damit beauftragen.
Neun Männer arbeiten aktuell bei Blöcher, auf dem Gelände der Alten Ziegelei, im Büro oder auf verschiedenen Baustellen. Während des Booms in den 1990er-Jahren waren es mal knapp 40, darunter sogar ein Architekt.
Häuser mit Geschichte und authentischem Charme waren damals schwer angesagt, vor allem in der Gastronomie. Bauernhofcafés und rustikale Restaurants in möglichst originalgetreuer Kulisse wurden zu Publikumsmagneten. Der Trend bescherte dem Ostwestfalen Großaufträge am laufenden Band.
Vom Bio-Bauer zum Recycling-Spezialist
Ein weiterer Höhepunkt: die Auszeichnung mit dem Bundes-Recyclingpreis 1997. Neun Jahre zuvor hatte Blöcher sein Unternehmen gegründet. Historische Gemäuer zurückzubauen und die bewährten Baustoffe zu bergen und wiederzuverwenden, wurde zum Broterwerb – und der ehemalige Bio-Bauer zum Recycling-Spezialist.
Inzwischen ist er ein gefragter Experte. „Viele Leute wollen alte Häuser einfach nur loswerden“, sagt Blöcher. Auf Gebrauchtes zu bauen, wünschen sich immer weniger. Ausgemustertes Material gibt es reichlich, suchen muss er schon lange nicht mehr.
Kunden von Nachhaltigkeit überzeugen
Was dem Werkstoffretter wichtig ist: „Kunden, die uns als Gutachter engagieren, davon zu überzeugen, so viel wie möglich im Bestand zu retten.“ Eine Mission, die anfangs nur halb so mühsam war. Das liegt auch am novellierten Gebäudeenergiegesetz. Die strengen Richtlinien machen es mittlerweile fast unmöglich, antike Baustoffe für die Hülle von Neubauten zu verwenden.
Anders sieht es bei temporär genutzten Nebengebäuden aus. Bei Pavillons oder Gartenlauben, einem Carport, Atelier oder Spielhaus für Kinder sind der Fantasie deutlich weniger baurechtliche Grenzen gesetzt. Davon fertigen Blöcher und seine Mitarbeiter pro Jahr mehrere Dutzend.
Bevor jedes nach Wunsch konfigurierte Häuschen seinen Bestimmungsort erreicht, setzt das Team es zunächst in Entrup zusammen. Für den Transport wird es dann wieder sorgfältig zerlegt.
Komplettanbieter und Vermieter
Blöcher fungiert also nicht nur als Baustoffhändler, sondern auch als Komplettanbieter: angefangen mit Planung inklusive Statik bis zur Montage vor Ort. Wie viel so ein Schmuckstück kostet, hängt unter anderem ab vom Material und Dienstleistungsumfang. „Natürlich kann man es auch selbst aufbauen – wir liefern dann lediglich den Bausatz“, so der Unternehmer.
Dazu ist Blöcher auch Vermieter. Drei seiner eigenen Entwürfe auf dem Gelände der Alten Ziegelei dienen neben der Inspiration als Gästehäuser. Jedes ist eine einzigartige Upcycling-Collage: vom Bodenbelag aus Bruchsteinen bis zu den antiken Dachziegeln und den Fensterrahmen aus dem vergangenen Jahrhundert.
Sideboard aus Sortieranlage
Selbst in Bauten mit minimalistisch-modernem Design gibt es für Blöcher jede Menge Möglichkeiten, antike Werkstoffe sinnvoll und ästhetisch ansprechend zu integrieren. Zu den Klassikern gehört ihre Wiedergeburt als Tisch, Tür oder Treppe. Ein ehemaliges Scheunentor in eine begehbare Schrankwand zu verwandeln, ist da schon extravaganter.
Um Dingen eine neue Bestimmung zu geben, braucht es für Blöcher Einfallsreichtum und Mut. Beides beweist er mit seinen „Seelenstücken“, wie er die Möbel nennt, die in seiner Werkstatt entstehen. Etwa das Sideboard, das früher eine Kartoffelsortieranlage war. Oder der Tisch, dessen Platte auf vier massiven Säulenresten ruht. Sie wurden beim Rückbau einer spätmittelalterlichen Wasserburg im niedersächsischen Bad Münder geborgen.
Geschäftsidee weitergeben
Wer seine Ideen und Entwürfe am liebsten eigenhändig umsetzen möchte, kann sich in Entrup neben dem Material sogar handwerkliches Know-how beschaffen. In Workshops mit unterschiedlichen Schwerpunkten lernen Teilnehmer unter anderem, wie man mit Werkzeugen und Maschinen umgeht.
Anleiten und anregen. Zurückbauen statt abreißen. Bergen und bewahren. Warum Martin Blöcher das nach mehr als 30 Jahren noch immer reizt? „Weil es mir riesigen Spaß macht, etwas zu entwickeln und zu erschaffen – mit großem Respekt vor Mensch und Umwelt.“
Und das soll auch noch viele Jahre so bleiben. Die zweite Herzensangelegenheit des Vaters von fünf Kindern: sein Geschäft und die Idee, auf dem es fußt, an die nächste Generation weiterzugeben. Damit Materialien von gestern eine Zukunft haben.